Ich war etwa sieben Jahre alt, als ein großer, rotblonder Junge mich in der Pause auf dem Schulhof in Augenschein nahm. Schon an seinem Gang konnte ich erkennen, dass er auf Ärger aus war. Ärger für mich. Spaß für ihn. Er kam näher, bis er vor mir stand, und schubste mich einmal kräftig nach hinten. „Was guckst du so, Türkin!“ blaffte er mich an. Mir rutschte das Herz in die Hose, denn es gab keinen Zweifel, dass er vorhatte, mich zu verprügeln und dass ich keine Chance gegen ihn haben würde. Ich schloss innerlich mit meinem Leben ab, als die Stimme meiner Mitschülerin Michaela ertönte. „Das ist keine Türkin“, rief sie, „das ist Tanja Bubbel.“ Der Junge schaute mich erstaunt an. „Oh, Entschuldigung“, sagte er, drehte sich um und ging.
Ich denke oft an diesen Vorfall zurück und frage mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht meinen albernen, deutschen Nachnamen, sondern den Namen meines tunesischen Vaters getragen hätte. Sicher wäre ich, auch als Nicht-Türkin, an diesem Tag verprügelt worden. Vielleicht hätte ich keine Gymnasialempfehlung bekommen (wie alle „ausländischen“ Kinder aus meiner Klasse). Wenn ich studiert hätte, hätte ich mich wahrscheinlich noch fremder gefühlt, als ich es mit meinem nicht-akademischen Hintergrund schon ohnehin tat.
Es sind hauchdünne Membranen, die unsere sozialen Identitäten voneinander trennen. Manche dieser Identitäten sind sichtbar, manche nicht. Alle spielen eine Rolle darin, wie wir gelesen und beurteilt werden, welche Chancen und Rechte wir erhalten, welche Eigenschaften uns unterstellt werden und nicht zuletzt wie wir uns selber definieren.
Ich habe ich einen Beruf gewählt, in dem meine vielen Identitäten ein Vorteil sind. Denn wenn sie eins bewirken, dann dass ich komplexe, vielschichtige und interessante Geschichten zu erzählen habe. Egal welchen Namen ich trage.
Tanja Bubbel